Bereits auf der Hinfahrt bereitete uns Heiko Dinklage auf unser Reiseziel Sangerhausen und die Umgebung vor. Sangerhausen ist eine ehemalige Bergbaustadt mit ca. 25.700 Einwohnern, aber flächenmäßig etwa doppelt so groß wie Oldenburg – bedingt durch viele Eingemeindungen nach der Wende. Der Abbau von Silber und Kupfer begann im Mittelalter, verringerte sich stark im 19. Jahrhundert. Nach dem 2. Weltkrieg nahm die DDR den Abbau des Kupferschiefers wieder auf, der nach der Wende wegen Unwirtschaftlichkeit endgültig eingestellt wurde. - Sangerhausen wird auch stets mit Rosen in Verbindung gebracht durch das 1903 hier eröffnete Rosarium, das die größte Rosensammlung der Welt besitzt.
Ein erster Stopp auf der Hinreise wurde in Hohe Geiß im Harz an der früheren deutsch-deutschen Grenze eingelegt. Ein ehemaliger westdeutscher Zollbeamter, Herr Manfred Gille, der genau hier im Einsatz gewesen war, schritt mit uns eine kurze Strecke ab, zeigte uns Reststücke des metallenen Grenzzauns, die heute einen Privatgarten umgeben und berichtete von seiner damaligen Tätigkeit, den wenig erfreulichen Vorkommnissen, z. B. eine missglückte Flucht mit Todesfolge. Auch auf dem jetzt als bundesweiter Wanderweg ausgewiesenen ehemaligen Kolonnenweg wanderten wir ein wenig, ehe es über den nunmehr mit Gras und Gehölzen bewachsenen ehemaligen Todesstreifen zurück zum Bus ging.
Gleich am nächsten Tag unternahmen wir eine ca. 11 km lange Rundwanderung auf dem „Pfad der Wildrosen“. Da Wildrosen nur einmal im Jahr blühen, erkannten wir sie jetzt nur an den roten Hagebutten. - Auf der Führung durch das Rosarium am Nachmittag erfuhren wir, dass man Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Züchtung von mehrfach im Jahr blühenden Rosen begonnen hatte. Daher lohnte sich für uns ein Besuch dort auch im Monat September. In diesem nunmehr auf 13 ha vergrößerten Gelände wachsen mehr als 8.600 verschiedene Rosenarten und Jahr für Jahr werden neue angepflanzt, wenn sie - ohne Chemie in verschiedenen Städten Deutschlands gezüchtet - eine Prüfung durch ADR (= Allgemeine Deutsche Rosenneuheiten -Prüfung) bestanden haben. Mit dem Label „ADR“ versehene Rosen sollen bes. widerstandsfähig sein gegen Krankheiten wie Sternrußtau und Rosenrost. Aber auch die alten Rosenarten will man hier erhalten.
Am folgenden Tag lernten wir die 1951/52 erbaute Talsperre Wippra kennen und umrundeten zusammen mit einem Förster, der den dortigen 2000 ha großen Staatsforst beaufsichtigt, den aufgestauten idyllischen See auf einer – bis zum Grillplatz - ca. 8 km langen Wanderung. Die Talsperre war ursprünglich angelegt sowohl für den Abbau des Kupferschiefers, wofür man Wasser benötigte, als auch zum Schutz der Stollen. Heute dient diese Talsperre – wie viele andere im Harz, die ebenfalls für den Bergbau erbaut worden waren - dem Hochwasserschutz, der Fischerei, der Naherholung und der Stromerzeugung. Mehrfach auf unseren Wanderungen und Busfahrten durch den Harz sahen wir nicht nur viele kahle ehemalige Nadelwaldflächen mit noch vereinzelt dastehenden toten Fichten – ein trauriger Anblick! Wir erfuhren auch, dass Buchen ebenfalls unter dem Wassermangel leiden, z. T. vom kleinen Buchenborkenkäfer oder Buchenspringrüssler befallen und somit vom Absterben bedroht sind. Das betrifft vor allem alte Bäume, die wegen der früher reichlicheren Niederschläge nicht so tief wurzeln mussten.
Auf die Stadtführung an diesem Nachmittag hatte uns gleich am Abend der Ankunft der engagierte Vorsitzende des Geschichtsvereins Sangerhausen mit einem Vortrag über die Stadtgeschichte und Kultur vorbereitet. - Wir besichtigten die beiden alten Kirchen in der Altstadt, St. Jacobi, eine gotische Hallenkirche sowie St. Ulrici, eine romanische Kirche, das älteste kulturgeschichtliche Bauwerk der Stadt, sie ist eine der Stationen auf der Straße der Romanik. Am Marktplatz fallen neben einigen Fachwerkhäusern, dem spätgotischen Rathaus und dem sog. neuen Schloss aus der Zeit der Renaissance zahlreiche alte Ackerbürgerhäuser mit großen Toren auf, die gut restauriert sind und ebenfalls unter Denkmalsschutz stehen. An vielen Hausfassaden ist ein hochwachsender Rosenstock gepflanzt, die Rose als Wahrzeichen Sangerhausens. Insofern war das „Rosen Hotel“ ein adäquates Nachtquartier für uns!
Am dritten Tag genossen wir auf einer Wanderung entlang der Helme eine Flusslandschaft, die mit dem Titel „Flusslandschaft des Jahres 2012/13“ geadelt wurde, gelegen am Südrand von Sangerhausen. Die insgesamt 74 km lange Helme war, nachdem zunächst als Hochwasserschutz begradigt, wieder renaturiert worden, und zwar im Einklang mit nachhaltigem und naturnahem Wirtschaften. Wir wanderten an riesigen Flächen von Streuobstwiesen vorbei, die von den Anwohnern abgeerntet werden dürfen, was leider kaum geschieht, wie uns eine einheimische Frau mit einigen Taschen voll Obst an ihrem Rad berichtete. Mit gutem Gewissen bückten sich einige von uns nach dem Fallobst oder pflückten Birnen und Äpfel als „Marschverpflegung“. Diese Wiesen werden beweidet, es sind sog. Umtriebsweiden, was wir beobachten konnten, als neben der dort grasenden Schafherde eine neue Weidefläche abgesteckt wurde. Viele dieser Streuobstwiesen, denen wir auch auf anderen Wanderungen immer wieder begegneten, gab es bereits zu DDR-Zeiten; sie wurden von den Genossenschaften bewirtschaftet, die das Obst vermarkteten. Heute werden neben den uns bekannten auch zahlreiche alte Apfel- und Birnensorten angebaut und vorgestellt; als Event für Touristen werden seit einigen Jahren in einigen Orten jährlich Streuobsttage gefeiert, wie Irmgard Mohrmann berichtete.
Eine gut fußläufige Gruppe erweiterte diese Wanderung durch eine Umrundung einer der drei Abraumhalden, die wie weithin sichtbare Pyramiden als „technisches Denkmal“ für den ehemaligen Bergbau Sangerhausen umgeben und somit auch ein Wahrzeichen für diese Stadt sind. Diese „Pyramiden“, teilweise höher als die ägyptischen, dürfen nicht betreten werden, nur eine von ihnen wird 2 x im Jahr auf einer festgelegten Route für die Besteigung freigegeben.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen in Bad Frankenhausen besuchten wir am selben Nachmittag das dortige Panorama Museum, in dem das von Werner Tübke entworfene und gemalte Panorama hängt: Höhe der Leinwand = 14,5 m, Länge = 123 m. Auf diesen Besuch hatten uns unsere beiden Mitreisenden Eckhard Grotelüschen und Folker von Hagen an den beiden vorhergehenden Abenden in ihren Vorträgen mit unterschiedlichen Schwerpunkten vorbereitet. So frischte Eckhard Grotelüschen unsere Geschichtskenntnisse auf über die Bauernkriege in der Lutherzeit, deren letzte Schlacht 1525 unter Thomas Müntzer in der Nähe von Bad Frankenhausen stattfand und die für die aufständischen Bauern sehr verlustreich und erfolglos, was ihre Forderungen anbelangte, endete. Folker von Hagen gab anhand von vielen Bildern einen Abriss über die Entwicklung der bildlichen Darstellung und deren oft religiöse Motive oder auch politische Aussagen seit den Höhlenmalereien bis zur heutigen Zeit. Da die Kunst in der DDR auch der nationalen Propaganda dienen sollte, wurde Werner Tübke nach der Rehabilitierung von Thomas Müntzer 1976 der Auftrag zu einem Panoramabild erteilt, das dem „Deutschen Bauernkrieg“ gewidmet sein sollte. Kurz vor der Wende im September 1989 wurde das Panorama Museum eröffnet, für dessen Besuch man sich ausreichend Zeit lassen sollte; eine kurze Filmvorführung am Beginn zeigt den Entstehungsprozess des riesigen Gemäldes und auch den Künstler mit seinen Mitarbeitern während der mehrjährigen Arbeit.
Auf die Wanderung am letzten Tag bereiteten uns Siegmund Fröhlich (Entstehung der Karstlandschaft) und Irmgard Mohrmann (Flora in der Karstlandschaft) in ihren Vorträgen vor. - Diese Karstlandschaft, die man auf einem 200 km langen Wanderweg am Südrand des Harzes von Sangerhausen bis Osterode durchwandern kann, entstand durch ständige ober- und unterirdische Verwitterung der in den unter-schiedlichen Perioden in Jahrmillionen entstandenen Sedimentgesteine, wodurch sich unterirdische Höhlen und oberirdische Geländeformen bildeten. So versickern auch manches Mal Gewässerläufe mitten im Gelände im Gestein, was uns bei unserer Wanderung am folgenden Tag gezeigt wurde, oder Seen fallen plötzlich trocken usw.
Wir erwanderten einen kleinen Teil dieses Karstwanderweges mit Start in Hainrode, wo uns zuvor noch das alte im Aussterben begriffene Handwerk des Besenbindens von drei netten Rentnern vorgeführt wurde. Sie konnten sogar einige ihrer Besen an uns verkaufen.
Auf dieser Wanderung von Hainrode bis Questenberg erhielten wir von unserem sachkundigen Führer, Herrn Armin Hoch, sehr viele Informationen über das von ihm zur Kontrolle unterstellte gut 30.000 ha große Karstgebiet, das als Biosphärenreservat ausgewiesen ist. Ziel sind nicht nur Naturschutz und Bewahrung, sondern auch eine nachhaltige Entwicklung und langfristige Sicherung des Gebietes durch Zusammenarbeit mit den Bewohnern, die gemäß den amtlichen Vorgaben Land- und Forstwirtschaft betreiben; auch Unternehmer werden mit einbezogen; Erholung suchende Menschen dürfen hier wandern. Unser Führer wies uns auch immer wieder auf die Besonderheiten dieser Landschaft hin, z. B. haben wir u. a. nun bewusst „Dolinen“ wahrgenommen, eines der Merkmale von Karstlandschaften, von deren Vorhandensein uns Siegmund am Vortag berichtet hatte. Auch hier begleiteten uns Streuobstwiesen neben unserem Wanderweg, und an einem Aussichtspunkt konnten wir in der Ferne den Kyffhäuser entdecken, was witterungsbedingt nur selten möglich sein soll. - Einige Pflanzen in dem von Irmgard Mohrmann in ihrem mit zahlreichen Bildern bestückten Vortrag versuchten wir zu entdecken.
Am Nachmittag wurde der Besuch des Spenglermuseums in der Stadt angeboten, in dem das Skelett eines ca. 500.000 Jahre alten Steppenmammuts die Hauptattraktion bildet, das 1930 in der Nähe von Sangerhausen in einer Kiesgrube entdeckt und ausgegraben wurde.
Am letzten gemeinsamen Abend haben wir es gewagt, die Tradition des gemeinsamen Singens von Wanderliedern wieder aufzugreifen, allerdings saßen wir brav in einem gewissen Abstand voneinander. Helga Meyer stimmte die Lieder an, und Elfriede Coburger las – der Tradition entsprechend - eine plattdeutsche Geschichte vor, die Bezug zu Bergen hatte.
Die Rückreise hielt weitere Höhepunkte bereit. Wir machten Halt an der Rhumequelle am Südwestrand des Harzes und umrundeten den ca. 30 m langen und 20 m breiten Quellteich mit glasklarem Wasser, aus dem durchschnittlich pro Sek. ca. 2000 l Wasser austreten, was durch leichte Wellenbewegungen für uns sichtbar wurde. Sie ist die drittgrößte Quelle Europas und wird gespeist durch mehrere unterirdische im Karst verlaufende Flüsse; auch im Winter friert sie nie zu.
Der zweite Halt wurde in Hannover eingelegt, wo wir zunächst ein wenig Zeit hatten, um ein kleines Areal des großen Berggartens, der zu den Herrenhäuser Gärten gehört, kennenzulernen. Nach einem üppigen Picknick am Bus spazierten wir in zwei Gruppen durch die blühenden Anlagen der Herrenhäuser Gärten und erhielten von unseren Führern sehr ausführliche Informationen über die Geschichte, die Anpflanzungen, Pflege usw., ehe wir endgültig die Heimreise antraten.
Vieles von dem, was wir auf dieser schönen Reise bei durchweg gutem Wanderwetter erlebt haben, kann in diesem Reisebericht nur angedeutet werden. Unser großer Dank gilt nicht nur den Mitreisenden für ihre informativen Vorträge am Abend, sondern auch den beiden Mitstreitern Heiko Dinklage und Siegmund Fröhlich für die Planung, umfangreiche Vorbereitung und Durchführung vor und während der Reise. Unser größter Dank aber gilt Bettina von Alten für ihr großes Engagement, ihre Begeisterung und ihre immer gute Laune, die sie sich auch nicht von manchmal unpünktlichen Busfahrern verderben ließ.
Eva-Maria Fischer