20 Sonntagwanderer starteten am 5. September 2022 mit dem Bus in die Lewitz, ein Gebiet im Südwesten Mecklenburg-Vorpommerns gelegen, das vom Tourismus ein wenig „links liegengelassen“ wird. Exzellent geplant und durchgeführt wurde diese Wanderfahrt wie in den vergangenen Jahren von Bettina von Alten unter Mithilfe von Heiko Dinklage.
Standquartier war die Kleinstadt Neustadt-Glewe mit knapp 8.000 Einwohnern, eine ehemalige Ackerbürgerstadt, die eine mittelalterliche Burganlage und ein großes nach der Wende renoviertes ehemaliges Schloss vorweist, das jetzt als Hotel geführt wird, in dem wir nächtigen durften. Von hier aus erkundeten wir - nach Anfahrten mit Bus oder Bahn in die verschiedenen Gebiete dieser Gegend - täglich die durch die letzte Eiszeit mit ihren Grund- und Endmoränen geprägten Wald-, Feld-, Wiesen- und Wasserlandschaften.
Auch die Kultur kam nicht zu kurz, wie z. B. am dritten Tag die Besichtigung des Schlosses Ludwigslust in der gleichnamigen Stadt, ein ehemaliges Jagdschloss, das im 17. Jahrhundert nach französischem Vorbild von Herzog Friedrich (der Fromme) von Mecklenburg-Schwerin ausgebaut wurde und danach ca. 80 Jahre lang der Regierungssitz der Herzöge war.
Die Stadt Ludwiglust wurde in dieser Zeit von einem kleinen Gutsdorf in eine dem Schloss angepasste Stadt umgestaltet. Den „englisch“ angelegten großen Schlosspark lernten wir auf einem geführten Spaziergang ebenfalls kennen. – (Im Park besichtigten wir u. a. auch das klassizistische Mausoleum der Zarentochter Helena Pawlowna, die mit dem Erbprinzen Friedrich Ludwig zu Mecklenburg verheiratet war, jedoch nach sehr kurzer Ehe Anfang des 19. Jahrh. starb. Heiko Dinklage wusste zu berichten, dass ihre Schwester Katharina einen Sohn „unseres“ Oldenburger Herzogs Peter Friedrich Ludwig geheiratet hatte; damit stellte er einen Bezugspunkt zwischen Oldenburg, Mecklenburg und Ludwigslust her!)
Sowohl auf unserer Hin- als auch auf der Rückfahrt wurden Wanderungen und Besichtigungen vorgenommen; auf der Hinfahrt nutzten wir am Schaalsee die Pause für eine kleine Bootsfahrt und erfuhren dabei, dass in dessen Mitte bis 1989 die innerdeutsche Grenze verlief. Er liegt westlich des Schweriner Sees in einem Biosphärenreservat. Da er sehr fisch- und vogelreich ist, erhielt er 2019 die Auszeichnung als „Lebendiger See des Jahres“. Er weist eine Wassertiefe bis 70 m auf und ist mit einer Länge von 16 km und zwar der längste, aber nicht der größte See Norddeutschlands; die Müritz und der Schweriner See sind erheblich größer. An diese kleine Bootsfahrt schloss sich eine geführte Wanderung auf einem angrenzenden Moorlehrpfad an, auf dem uns der Ranger nicht nur die Entstehung dieses geschützten Niedermoores erläuterte, das nach einem Kalkabbau im 20. Jahrhundert entstanden war, sondern vor allem die vielfältige Pflanzen- und Vogelwelt schilderte und uns stets zeigte, was er Bemerkenswertes so „nebenbei unseres Weges“ entdeckte. Nach und nach zog er aus seiner Tasche einige ausgestopfte Vögel, die hier leben, auch der „Vogel des Jahres“, der Wiedehopf war dabei. Die Wichtigkeit von Altholz für die Insektenwelt sowie die Nützlichkeit des Schilfs zur Herstellung von Baumaterial erwähnte er, was einigen von uns bisher vielleicht unbekannt war.
Unsere Heimfahrt unterbrachen wir am Schweriner See, dem zweitgrößten See Mecklenburg-Vorpommerns, um dort am südlichen Teil eine Halbinsel zu umwandern. Unterwegs konnten wir von einem gemauerten Aussichtspunkt aus zwei in der Nähe gelegene bewaldete Inseln und in der Ferne die Stadt Schwerin sehen, die wir aber nicht besuchten.
Unser Reiseziel, die Lewitz, wurde an vielen Stellen unter Naturschutz gestellt, große Teile sind sogar als Europäisches Landschafts- und Vogelschutzgebiet ausgewiesen. Auf unseren Wanderungen wurden unsere biologischen und geologischen Kenntnisse aufgefrischt, aber auch vieles Neue aus Geschichte, Flora und Fauna wurde uns vermittelt, wie z. B. am 2. Tag auf einer größeren Busrundtour durch das eigentliche Lewitz -Areal mit einem sehr erfahrenen Ranger, der in begeisternder Weise immer wieder die dort lebenden Tiere, Vögel und Pflanzen aufzählte und benannte, vor allem wenn er sie vom Bus aus oder beim anschließenden gemeinsamen Wandern gerade entdeckte. Das ganze Gebiet ist von Seen und künstlich angelegten Teichen durchzogen und zudem durch Flussläufe und Kanäle miteinander verbunden. In nördlicher Richtung kann man auf dieser Müritz-Elde-Wasserstraße und ihren vielen Abzweigungen und Kanälen mit einem Boot bis zur Ostsee bzw. bis nach Hamburg gelangen, in Richtung Süden über die Elde, die in Neustadt-Glewe hinter unserem Hotel vorbeifließt, schließlich bis zur Elbe bei Dömitz.
Das einstmals dicht bewaldete Gebiet wurde ab dem Mittelalter mehr und mehr abgeholzt zur Gewinnung von Bauholz (sogar in Hamburg hat man Eichen aus der Lewitz entdeckt, die vor 900 Jahren bei der Gründung verwendet wurden), für Abgaben an den fürstlichen Hof, aber auch zur Herstellung von Holzkohle für Schmelzöfen, in denen Glaswaren hergestellt wurde, sog. Waldglas, das uns in einem Museum in Hagenow gezeigt wurde, und zur Verhüttung von Raseneisenstein.
Im 19. Jahrhundert begann man auf Anweisung der regierenden Herzöge mit der Wieder-aufforstung und baute Straßen, vorher gab es nur Dämme, die aber alle einen Namen trugen mit ihrem jeweiligen Ziel. Auch wurden Kanäle zur Entwässerung angelegt und am Ende des 19. Jahrhunderts riesige Fischteiche, von denen es heute noch viele gibt, vorwiegend zur Aufzucht von Karpfen, die jetzt nur noch extensiv nach strengen Vorgaben des Naturschutzes erfolgt. Von einem Aussichtsturm an einer Brücke (im Volksmund „Blaues Wunder“ genannt) konnten wir einen beeindruckenden Blick über diese größte zusammenhängende Teichlandschaft Norddeutschlands und einen Abschnitt der nebenher verlaufenden Müritz-Elde-Wasserstraße werfen.
Nachdem in der DDR-Zeit die Böden noch stärker entwässert wurden, um erfolgreich ergiebige Rinderzucht betreiben zu können, machte man dies ab 1990 teilweise wieder rückgängig, so dass erneut viele Feuchtwiesen und Niedermoore entstanden und einige Pflanzen-, Vogel- und Tierarten, die verschwunden waren, wieder heimisch werden konnten. Man hat jetzt 256 Vogel-, 400 Schmetterlings- und 30 unterschiedliche Libellenarten gezählt. In den Wiesen der Lewitz grasen und überwintern mehr als 40.000 Wildgänse und ab Oktober legen zahlreiche Zugvögel hier ihre Rast ein. Daher gilt ein Verbot für Windräder. Die Anzahl der Tiere, z. B. Störche, hat leider trotz des Schutzes abgenommen, weil für die Aufzucht der Jungen oft genügend Futter fehlt. Rinderzucht wird zwar noch betrieben, aber in geringerem Maße und vorwiegend aufgestallt, weil das billiger ist. Im Freien weidende Kühe sahen wir vom Bus aus zwei Mal in Form von großen Mutterkuhherden.
Auf unseren Wanderungen haben wir sowohl Sonnenschein und wohlige Wärme erlebt, als auch den ersten Regen nach wochenlanger Regenpause. Den schönen 6 km langen Rundweg um den Wockersee bei Parchim legten wir - nach trockenem Start – weitgehend bei Regen zurück, der leider ein langanhaltendes Gewitter im Gepäck hatte, was uns – dicht am See laufend – gar nicht behagte und zudem den Eindruck dieses idyllischen Sees im wahrsten Sinne des Wortes sehr trübte. Kurz vor dem Erreichen unseres Busses durchnässte uns noch ein heftiger Sturzregen, selbst beste Regenausrüstung konnte nasse Hosenbeine nicht völlig verhindern. Eine leckere Soljanka in einem gepflegten Lokal am Rande eines kleinen Ortes ließ uns wieder trocken werden. Den Nachschlag durften wir eigenhändig schöpfen aus einer „Suppenvase“, dies war die uns erheiternde Bezeichnung der Bedienung für den großen Warmhaltesuppenkessel.
Die geschichtliche Entwicklung von Neustadt-Glewe erfuhren wir bei einem Stadtrundgang von einem Mitglied des örtlichen Kultur- und Heimatvereins. In Ludwigslust sowie in Hagenow, wo wir auch das dortige Museum für Alltagskultur der „Griesen Gegend“ aufsuchten, erhielten wir ebenfalls kompetente Informationen über die geschichtliche Entwicklung, beginnend mit der ersten Besiedlung durch slawische Stämme, die Geschichte des ansässigen Fürstengeschlechts, den Bau der Städte, etliche als Ackerbaustädte (z. B. Neustadt-Glewe und Hagenow) und über das Leben in den Städten und dortige Stadtbrände sowie über industrielle Anfänge (Glasbläserei, Abbau von Raseneisenstein). Auch die gute Entwicklung der Infrastruktur in einigen Dörfern in der DDR-Zeit war Thema bei der Durchfahrt eines größeren Dorfes. Einer unserer Führer, Herr Nickeleit, der uns an mehreren Tagen begleitete, hatte bereits während seiner beruflichen Tätigkeit in der DDR freiwillig viele Wanderungen in der Lewitz organisiert und durchgeführt und kannte sich daher sowohl mit der Natur, als auch mit Kultur bestens aus und konnte auch alles sehr lebendig erzählen.
Die Abende wurden – abgesehen vom 1. Abend, an dem uns der zukünftige Bürgermeister von Neustand-Glewe begrüßte – von Mitgliedern unserer Reisegruppe gestaltet.
Eckhard Grotelüschen stellte uns den Briefroman „Jürnjakob Swehn“ vor, verfasst von Johannes Gillhoff, dem Sohn des Adressaten, und las einige Passagen daraus vor. Der „Briefschreiber Jürnjakob Swehn“ war ein junger armer Mann aus der „Griesen Gegend“ der Lewitz, der 1868 nach Amerika ausgewandert war und es dort durch seinen Fleiß vom Tagelöhner bis zum Farmbesitzer gebracht hatte. Im Laufe seines Lebens berichtete er in „seiner schlichten Redeweise“ seinem ehemaligen Lehrer in der Heimat über seine Erlebnisse, seinen Werdegang, sowie über „Andersartiges“ in der Neuen Welt.
Irmgard Mohrmann hatte in ihrem überaus vielseitigen Vortrag als Thema die Kartoffel gewählt, die vor 500 Jahren aus Peru nach Europa eingeführt und zunächst nur als Zierpflanze hier gehandelt wurde. Es dauerte sehr lange, ehe sie auf den deutschen Speisetellern landete. Friedrich der Große erreichte - z. T. gewaltsam - Mitte des 18. Jahrhunderts, dass die Bürger sie als Hauptnahrungsmittel akzeptierten, vor allem als sie endlich feststellten, dass die Kartoffel preiswerter war als Brot, weil sie diese selbst anbauen und beim Verkauf sogar Geld verdienen konnten. Dies ermöglichte es Friedrich dem Großen, im Kriegsfall für seine Soldaten stets volle Getreidespeicher für deren Ernährung zur Verfügung zu haben.
Bettina von Alten hatte - trotz der umfangreichen Vorbereitung für diese Wanderfahrt – auch noch einen abendlichen Vortrag ausgearbeitet und - passend am Abend nach unserer Besichtigung des Schlosses Ludwiglust - ein musikalisches Thema gewählt: Hofkomponisten. Im Mittelpunkt stand dabei der 1750 in Österreich geborene Kontrabassist und Komponist Johannes Matthias Sperger, der nach mehreren Zwischenstationen in Deutschland und im europäischen Ausland schließlich 1789 als Hofkomponist im Schloss Ludwigslust eine Anstellung und damit ein festes Einkommen bis an sein Lebensende fand. Johannes Sperger schrieb viele Sinfonien und mehrere Instrumentalkonzerte, die er auch zur Aufführung brachte. Aber trotz seiner Stellung als Hofkomponist durfte er nicht an der Hoftafel speisen, sondern musste gemeinsam mit den Bediensteten seine Mahlzeiten einnehmen. Am Ende spielte uns Bettina mittels eines Videos den Ausschnitt eines Streichquartetts von ihm vor.
Am letzten Abend haben wir wie üblich gemeinsam in großer Runde Wanderlieder gesungen, die Dagmar Weber-Kuper anstimmte, und Elfriede Coburger las traditionsgemäß plattdeutsche Döntjes vor. Heiko Dinklage hielt abschließend eine sehr launige Dankesrede, adressiert an Bettina von Alten, die diese Reise minutiös vorbereitet hatte. Bettina hatte stets gute Laune und verbreitete auch Fröhlichkeit, die ansteckend war. Für all das möchten wir ihr an dieser Stelle nochmals sehr herzlich DANKE sagen! Aber unser Dank gilt ebenfalls Heiko, der mehr im Hintergrund wirkte, aber Bettina sicher mehr unterstützt hatte, als für uns sichtbar wurde; zudem war er kurzfristig als „Finanzier“ eingesprungen.
Eva-Maria Fischer